Zusammenfassung des Urteils UV 2015/32: Versicherungsgericht
A. zog sich bei einem Motorradunfall im Juli 1983 eine Kopfverletzung zu und erlitt später einen weiteren Unfall im August 1986. Die Basler Versicherung AG erkannte ihre Leistungspflicht für beide Ereignisse an und zahlte entsprechende Leistungen aus. Nach einer Untersuchung im Jahr 2009 beschloss die Basler, die Leistungen einzustellen und forderte sogar bereits gezahlte Beträge zurück. A. erhob Einspruch und Beschwerde, die letztendlich vom Bundesgericht abgewiesen wurden. Die Basler entschied 2012, die Leistungen für die Folgen des Unfalls von 1986 einzustellen. Die Beschwerdeführerin kämpfte dagegen an und das Versicherungsgericht wies die Sache zurück an die Basler zur weiteren Abklärung. Das Bundesgericht hob den Entscheid des Versicherungsgerichts auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | UV 2015/32 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | UV - Unfallversicherung |
Datum: | 07.12.2015 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 53 Abs. 2 ATSG. Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der ursprünglichen Leistungszusprache sind nicht erfüllt (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. Dezember 2015, UV 2015/32).Durch Urteil des Bundesgerichts 8C_41/2016 teilweise aufgehoben.Entscheid vom 7. Dezember 2015BesetzungPräsident Joachim Huber, Versicherungsrichterinnen Miriam Lendfers und Marie Löhrer; Gerichtsschreiber Philipp GeertsenGeschäftsnr.UV |
Schlagwörter : | UV-act; Versicherung; Unfall; Basler; Verfügung; Versicherungsgericht; Bundesgericht; Urteil; Bundesgerichts; Adäquanz; Entscheid; Recht; Einsprache; Akten; Bericht; Ereignis; Erwägungen; Unfallereignis; Leistungen; Einspracheentscheid; Unfalls; Rechtsprechung; Person; Versicherungsgerichts; Abklärungen; Dispositiv; Bereich; ägter |
Rechtsnorm: | Art. 17 ATSG ; |
Referenz BGE: | 117 V 359; 117 V 367; 117 V 368; 117 V 369; 117 V 385; 131 II 17; 140 V 70; |
Kommentar: | - |
4002 Basel,Beschwerdegegnerin,vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Adelrich Friedli,Stationsstrasse 66a,
8907 Wettswil,GegenstandVersicherungsleistungenSachverhalt
A.
A. zog sich bei einem Motorrad-Unfall vom 16. Juli 1983 u.a. eine Commotio cerebri zu. Die Zürich-Versicherungsgesellschaft als Unfallversicherer erbrachte für dieses Ereignis Leistungen. Als Schülerin/Praktikantin erlitt die Versicherte am
9. August 1986 einen weiteren Unfall, indem sie von einer anderen Person, die ihrerseits von einer Betreuerin über die Schulter geworfen worden war, mit den Schuhen einen Schlag ins Genick erhielt. Die Basler Versicherung AG (damals noch Basler Versicherungs-Gesellschaft; nachfolgend: Basler) anerkannte nachträglich ihre Leistungspflicht für dieses Ereignis. Dr. med. B. , Praxis für Allgemeine Medizin, diagnostizierte im Bericht vom 26. Juli 1987 einen Status nach Contusio cerebri 1983 sowie ein Schleudertrauma der HWS am 9. August 1986. Die Basler erbrachte in der Folge die gesetzlichen Leistungen (u.a. Taggelder und Hilflosenentschädigung) und
sprach der Versicherten in der Verfügung vom 4. Dezember 2002 neben einer Integritätsentschädigung von Fr. 55'680.-bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine monatliche Komplementärrente von Fr. 6'712.-zu. Am 22. Dezember 2002 erlitt die Versicherte mit dem Auto einen Selbstunfall und zog sich multiple Kontusionen (Ellbogen, Gesäss, Fuss) sowie erneute Beeinträchtigungen im HWS-Bereich (HWSDistorsion) zu (vgl. zum Ganzen Urteil des Versicherungsgerichts vom 5. Dezember 2011, UV 2010/32, lit. A.a und A.b, act. G 1.66; die Aktenreferenzierung entspricht derjenigen des Verfahrens UV 2013/38).
Im Auftrag der Basler wurde die Versicherte am 25., 26., 27. und 28. Januar sowie am 5. Februar 2009 überwacht (Ermittlungsbericht vom 6. April 2009, act. G 1.46). Im gleichen Zeitraum, am 26. und 27. Januar 2009, wurde die Versicherte in der ABI Ärzt liches Begutachtungsinstitut GmbH polydisziplinär (orthopädisch, psychiatrisch und neurologisch) untersucht. Im zuhanden der Basler erstellten Gutachten vom 12. März 2009 gelangten die Experten zum Schluss, die Versicherte leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) und einer dissoziativen Störung der Bewegungen (ICD-10: F44.4). Diese seien ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit (act.
G 1.43). Gestützt auf das ABI-Gutachten verfügte die Basler am 23. März 2009 die sofortige revisionsweise Einstellung der UVG-Rente und Hilflosenentschädigung (UVact. 5.11). Dagegen erhob die Versicherte am 5. Mai 2009 Einsprache (UV-act. 5.13a). Unter Einbezug des Ermittlungsberichts vom 6. April 2009 beantworteten die ABIGutachter die Ergänzungsfragen der Basler, der Versicherten und der IV-Stelle in der Stellungnahme vom 20. Oktober 2009 (UV-act. 4.57). Am 30. Oktober 2009 verfügte die Basler auf den 1. April 2004 die rückwirkende Leistungseinstellung und forderte von
der Versicherten Renten und Hilflosenentschädigungen im Betrag von Fr. 449'034.60 sowie die ab dem 31. März 2004 erbrachten betragsmässig nicht näher bestimmten - Leistungen für Heilbehandlungen zurück (UV-act. 5.16). Die dagegen erhobene Einsprache der Versicherten vom 2. Dezember 2009 (UV-act. 5.18a) wies die Basler mit Einspracheentscheid vom 4. März 2010 ab (UV-act. 5.22). Die gegen den Einspracheentscheid von der Versicherten erhobene Beschwerde vom 19. April 2010 hiess das Versicherungsgericht im Entscheid vom 5. Dezember 2011, UV 2010/32, dahingehend gut, dass es die Sache zur Prüfung der adäquaten Unfallkausalität der gesundheitlichen Beschwerden bzw. zur Klärung der Wiedererwägungsvoraussetzungen mit Bezug auf die Verfügung vom 4. Dezember
2002 und zur Prüfung der Leistungspflicht aus dem Ereignis vom 22. Dezember 2002 sowie zu anschliessender Neuverfügung an die Basler zurückwies (act. G 1.66). Die dagegen von der Basler erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wies das Bundesgericht ab. Auf die von der Versicherten erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten trat es nicht ein (Urteil des Bundesgerichts vom 23. März 2012, 8C_37/2012 und 8C_87/2012, act. G 1.67).
Am 26. September 2012 verfügte die Basler, die Leistungen für die Folgen des Ereignisses vom 9. August 1986 würden mangels Adäquanz per 4. Dezember 2002 eingestellt. Die Leistungen für die Folgen der HWS-Distorsion vom 22. Dezember 2002 würden per 31. Dezember 2003 eingestellt. Die Leistungen für die Folgen der Beschwerden an Knie und Ellbogen als Folgen des Ereignisses vom 22. Dezember 2002 würden per 31. Dezember 2003 eingestellt (act. G 1.72). Die dagegen gerichtete Einsprache vom 26. Oktober 2012 (act. G 1.73) wies die Basler im Einspracheentscheid vom 30. April 2013 ab (act. G 1.64). Die dagegen gerichtete Beschwerde der Versicherten hiess das Versicherungsgericht im Entscheid vom 12. November 2014,
UV 2013/38, gut. Betreffend die Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002 wurde die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen und zu neuer Verfügung im Sinn der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Zur Begründung führte es gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts (nicht in BGE 140 V 70 publizierte
E. 3.2 des Urteils des Bundesgerichts vom 24. Februar 2014, 8C_469/2013) aus, es könne an der im Entscheid des Versicherungsgerichts vom 5. Dezember 2011,
UV 2010/32, vertretenen Sichtweise nicht mehr festgehalten werden, das implizite Bejahen der Adäquanz stelle eine zweifellose Unrichtigkeit im wiedererwägungsrechtlichen Sinn dar. Deshalb und da der Entscheid vom 5. Dezember 2011, UV 2010/32, nicht in Rechtskraft erwachsen sei, sei eine ausnahmsweise Neubeurteilung insoweit angebracht, als zu prüfen sei, ob die Bejahung der adäquaten Kausalität im Rahmen des bei sämtlichen Kriterien bestehenden Beurteilungsspielraums vertretbar gewesen sei. Das Versicherungsgericht gelangte zur Auffassung, dass weder die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision noch für eine Wiedererwägung der Verfügung vom 4. Dezember 2002 erfüllt seien. Damit sei ein Zurückkommen auf die ursprüngliche Leistungszusprache unzulässig.
B.
Das Bundesgericht hob den Entscheid des Versicherungsgerichts mit Urteil vom 8. Juni 2015, 8C_913/2014, auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
1.
Zwischen den Parteien umstritten und zu prüfen ist die Frage, ob die von der Beschwerdegegnerin angeordnete rückwirkende Leistungseinstellung rechtmässig ist.
2.
Dispositiv-Ziffer 1 des Rückweisungsentscheids des Bundesgerichts vom 8. Juni 2015, 8C_913/2014, lautet: „Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 12. November 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen“. Obschon das Dispositiv des Rückweisungsentscheids des Bundesgerichts vom 8. Juni 2015, 8C_913/2014, keinen ausdrücklichen Verweis auf die Erwägungen enthält, ist das Versicherungsgericht entgegen der vereinzelten Rechtsprechung der Sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts betreffend die Unverbindlichkeit der Erwägungen bei Fehlen des Hinweises „im Sinn der Erwägungen“ im Dispositiv (Urteil des Bundesgerichts vom
30. Oktober 2009, 9C_703/2009, E. 2.2 und E. 2.3; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 10. November 2010, 8C_359/2010, E. 5.2) an die Begründung des Rückweisungsentscheids gebunden. Denn wie jede Rechtshandlung sind auch Dispositive auszulegen. Zur Auslegung des Dispositivs ist die Begründung zwangsläufig heranzuziehen (BGE 131 II 17 E. 2.3). Zu beantworten ist demnach in Nachachtung des Rückweisungsentscheids 8C_913/2014 die Frage nach der Adäquanz hinsichtlich der Folgen des Ereignisses vom 9. August 1986 in Anwendung der im Jahr 2002 (bei Erlass der wiedererwägungsweise zu überprüfenden Verfügung) gültig gewesenen Rechtsprechung (BGE 117 V 359 bzw. 115 V 133).
Im Gutachten vom 15. August 1988 gingen die Experten der Kantonalen
Psychiatrischen Klinik C. davon aus, die Beschwerdeführerin leide an den Folgen
eines (am 9. August 1986 erlittenen) Schleudertraumas. Sie wiesen auf die damals einschlägige medizinische Fachliteratur hin (act. G 1.74, S. 7). Diese Einschätzung wird in den Akten wiederholt bestätigt (Teilgutachten des Departements Chirurgie des Kantonsspitals Basel vom 14. November 2000 [Status nach HWS-Kontusionstrauma und anamnestisch Commotio cerebri am 9. August 1986], UV-act. 3-24; vgl. ferner namentlich UV-act. 3.4, 3.5, 3.8, 3.16, 3.17 und 3.20, S. 2). Des Weiteren ist aktenkundig, dass die Beschwerdeführerin über das „bunte Beschwerdebild“ geklagt hat (Bericht der Kantonalen Psychiatrischen Klinik C. vom 15. August 1988, act.
G 1.74, S. 3 f. [starker Schlag ins Genick, anschliessend Übelkeit mit Erbrechen und wieder starke Schmerzen, zum Teil im Kopf und Gesicht, zum Teil in den rechten Arm und in die rechte Körperhälfte ausstrahlend]; Bericht von Dr. med. D. , Neurologie FMH, vom 10. Februar 1993: „[ ] Entwicklung eines chronifizierten cervico-cephalen Syndroms und Cervico-Brachial-Syndrom mit neurovegetativer und neuropsychologischer Symptomatik mit abnormer Ermüdbarkeit, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Lichtund Lärmempfindlichkeit sowie Empfindlichkeit auf Erschütterungen, grossen Konzentrations-Einbussen“, UV-act. 3.5; siehe auch UVact. 3.14, UV-act. 3.16, S. 2, UV-act. 3.20, S. 2, und UV-act. 3.24, S. 1 und S. 5), das mit typischer Latenz aufgetreten ist (UV-act. 3.4). Im Licht dieser Umstände ist davon auszugehen, dass Beeinträchtigungen, die aus einem Schleudertrauma äquivalenten Beschwerdebild hervorgehen, im Vordergrund stehen und eine allfällige davon losgelöste psychische Problematik in den Hintergrund tritt. Die Beurteilung der Adäquanz der Folgen aus dem Ereignis vom 9. August 1986 hat damit in Nachachtung von BGE 117 V 359 (sog. Schleudertraumapraxis mit ursprünglich geltenden Beurteilungskriterien) zu erfolgen.
Die Beschwerdeführerin erhielt mit den beschuhten Füssen einer anderen Person, die ihrerseits von einer erwachsenen Person über die Schulter geworfen wurde, einen Schlag von rechts an den Hals, Nacken und Kopf (Urteil des Bundesgerichts vom 8. Juni 2015, 8C_913/2014, Sachverhalt lit. A.a). Die Beschwerdeführerin ist gemäss Akten „mit voller Wucht von rechts von einer geschleuderten Person im Bereich der HWS getroffen worden“ (UV-act. 3.20, S. 2). Dabei habe sie ein Trauma erlitten, bei dem sie von einer anderen Person mit dem rechten Fuss „mit hoher Energie am rechten Hals“ getroffen wurde und zu Boden stürzte (UV-act. 3.24, S. 4; zum „starken Schlag ins Genick“ siehe act. G 1.74, S. 3).
Sie habe anschliessend erbrechen müssen (UV-act. 3.24, S. 1, und UV-act. 3.16, S. 2). Aus den Akten ist sodann von einem „schweren Trauma“ (UV-act. 3.5) die Rede. Mit Blick auf den sich aus den Akten ergebenden Geschehensablauf ist das Unfallereignis im mittleren Bereich anzusiedeln und objektiv mit Kopfbzw. Kopfgelenkverletzungen bei tätlichen Auseinandersetzungen zu vergleichen, die das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG; seit 1. Januar 2007: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) bereits in der vor der Verfügung vom 4. Dezember 2002 ergangenen Rechtsprechung „in der Regel“ dem eigentlich mittleren Bereich zugeordnet hat (vgl. die im Urteil des Bundesgerichts vom 14. März 2013, 8C_893/2012, E. 4.1 erwähnte Rechtsprechung). Entgegen der Betrachtungsweise der Beschwerdegegnerin (Verfügung vom 26. September 2012, act. G 1.72, S. 4) handelt es sich daher vorliegend nicht um einen Grenzfall zu einem leichten Unfallereignis. So wurde denn auch etwa bei einem Versicherten, der einen Faustschlag an das linke Jochbein erhalten hatte, zu Boden gegangen und kurzzeitig bewusstlos gewesen war und dadurch eine Rissquetschwunde sowie eine Commotio cerebri erlitten hatte, ein mittelschweres Geschehen bejaht (Urteil des EVG U 37/94 vom 21. August 1997, zusammengefasst wiedergegeben in: SZS 2001, S. 441 f.; im Übrigen bestätigt im Urteil des Bundesgerichts vom 23. Mai 2007, U 366/2006, E. 5.1). Ebenso hat das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht einen vergleichbaren Unfallhergang (Sturz eines alkoholisierten Versicherten auf einer Treppe, Aufschlagen des Kopfes [Commotio cerebri, Nasenbeinfraktur, Rissquetschwunde an der Nasenwurzel] im mittleren Bereich angesiedelt (Urteil des EVG vom 19. September 1994, U 141/92,
E. 4a, wiedergegeben und bestätigt im Urteil des Bundesgerichts vom 23. Mai 2007, U 366/2006, E. 5.1). Was die von der Beschwerdegegnerin dagegen ins Feld geführte
Rechtsprechung anbelangt (siehe Verfügung vom 29. September 2012, act. G 1.72), so handelt es sich hierbei ausnahmslos um Entscheide, die nach dem 4. Dezember 2002 ergangen sind, weshalb sich Weiterungen hierzu erübrigen. Selbst wenn im Übrigen von einem Grenzfall zu einem leichten Unfallereignis ausgegangen würde, resultierte kein anderes Ergebnis, da mehrere der Adäquanzkriterien teilweise in ausgeprägter Weise erfüllt sind (vgl. nachstehende E. 2.7).
Angesichts der Qualifikation des Unfallereignisses vom 9. August 1986 als
mittelschwer ist die Adäquanz eines Kausalzusammenhanges nur dann zu bejahen,
wenn eines der relevanten Adäquanzkriterien in besonders ausgeprägter mehrere
dieser Kriterien in gehäufter Weise erfüllt sind (BGE 117 V 367 f. E. 3a f.).
Wie die Beschwerdeführerin zutreffend und im Einklang mit der Aktenlage vorbringt, war sie vom Unfalltag an bis zum Erlass der Verfügung vom 4. Dezember 2002 während über 16 Jahren beständig in ärztlicher und therapeutischer Betreuung zur Behandlung der Leiden. Sie begab sich nicht bloss in ambulante, sondern auch in stationäre Behandlungen (zur stationären Hospitalisation vom 18. April bis 9. Mai 1996 in der Rheumaund Rehabilitationsklinik E. siehe den Bericht vom 14. Mai 1996, UV-act. 3.16; hierzu sowie zu weiteren stationären Behandlungen siehe UV-act. 3.24,
S. 2). Bereits rund ein Jahr nach dem Unfallereignis vom 9. August 1986 gab Dr. med. B. , Praxis für Allgemeine Medizin, im Bericht vom 26. Juli 1987 an, „alle möglichen Therapien wurden schon konsequent ausprobiert, insbesondere lokale Infiltrationen, Stützung mittels Halskrägen und Halskorsett, Physiotherapie der HWS und der Arme, stabilisierende Übungen [ ]“ (UV-act. 3.4). Eine chiropraktische Behandlung hatte lediglich einen kurzen positiven Effekt zur Folge (UV-act. 3.5). F. , Dr. der Chiropraktik, wies in seiner Stellungnahme vom 1. Juni 1993 auf die ausserordentliche Therapieresistenz und die Glaubwürdigkeit der Schmerzschilderung durch die Beschwerdeführerin hin (UV-act. 3.14; betreffend die aufgrund der klinischen Symptomatik und der objektiven Befunde von Dr. D. bestätigten Angaben zur Hilfslosigkeit siehe UV-act. 3.15, S. 2 unten). Die Beschwerdeführerin versuchte sodann immer wieder neue Therapien, um ihren Leiden zu begegnen (zur im Oktober 1996 aufgenommenen craniosacralen Therapie siehe UV-act. 3.18). Das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung ist daher erfüllt (vgl. RKUV 1998 Nr. U 297, S. 245 E. 3c) und zwar in ausgeprägter Weise. Erfüllt ist auch das Kriterium des schwierigen Heilungsverlaufs und der erheblichen Komplikationen, klang das Leidensbild lediglich vorübergehend im Zeitraum vom April 1989 bis Juni 1990 (UVact. 5.2, S. 1) etwas ab. Ansonsten dauerten die Beschwerden
unvermindert fort bzw. nahmen zu (vgl. BGE 117 V 368 f. E. 7b und BGE 117 V 385
E. 5b).
Aus den Akten ergibt sich und ist von der Beschwerdegegnerin nicht
substanziiert bestritten, dass die Beschwerdeführerin seit dem Unfallereignis vom
9. August 1986 trotz zahlreicher verschiedener Therapien (vgl. hierzu vorstehende
E. 2.4) an Dauerbeschwerden leidet, wobei unerheblich ist, ob und inwieweit diese einer psychischen Fehlentwicklung zuzuschreiben sind (RKUV 1998 Nr. U 297, S. 245
E. 3.c). Bereits im Bericht der Rheumaund Rehabilitationsklinik E. vom 14. Mai 1996 war von einer „Ohnmacht gegenüber ihren schon seit 10 Jahren anhaltenden Schmerzen“ die Rede (UV-act. 3.16, S. 3). Dr. D. berichtete am 29. Dezember 1997 von einer persistierenden Symptomatik der umfangreichen Leiden (UV-act. 3.22; siehe auch die damit zu vereinbarenden Ausführungen von Dr. med. G. , Oberarzt Orthopädie Departement Chirurgie des Kantonsspitals Basel, im Bericht vom
14. November 2000, UV-act. 3.24, S. 5). Das Kriterium der Dauerbeschwerden ist daher erfüllt (vgl. BGE 117 V 369 E. 7b, BGE 117 V 385 E. 5b und RKUV 1998 Nr. U 297,
S. 245. E. 3.c).
In der Verfügung vom 4. Dezember 2002 anerkannte die Beschwerdegegnerin abgesehen vom Zeitraum vom April 1989 bis Juni 1990 eine medizinisch ausgewiesene 100%ige Arbeitsunfähigkeit (UV-act. 5.2, S. 1). Wie die Beschwerdeführerin zutreffend und von der Beschwerdegegnerin nicht substanziiert bestritten geltend macht, ist das Kriterium des Grads und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit daher in ausgeprägter Weise erfüllt (act. G 1, Rz 12; vgl. RKUV 1998 Nr. U 297, S. 245 E. 3.c und BGE 117 V 368 E. 7.b). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Invalidenversicherung der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 2. März 1989 bei einem Invaliditätsgrad von 70% rückwirkend ab Oktober 1987 eine ganze Invalidenrente zusprach. Dieser Rentenanspruch wurde in den Folgejahren immer wieder bestätigt (Entscheid des Versicherungsgerichts vom 5. Dezember 2011, UV 2010/32, Sachverhalt lit. A.a). Die Beschwerdeführerin hat sich darüber hinaus um eine (zumindest teilweise) Wiedereingliederung bzw. Verwertung ihrer Restarbeitsfähigkeit bemüht (vgl. hierzu die Ausführungen von Dr. med. H. , Spezialärztin FMH für Innere Medizin, im Bericht vom 13. Mai 1997, UV-act. 3.20, S. 2; vgl. auch UV-act. 3.23 und
UV-act. 3.24, S. 3).
Da bereits mehrere Kriterien teilweise in ausgeprägter Weise erfüllt sind und allein schon deshalb die Adäquanz zu bejahen ist, kann auf die Prüfung der weiteren Kriterien verzichtet werden. An der bejahten Adäquanz ändert nichts, dass bei der Beschwerdeführerin allenfalls eine auffällige Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu
psychosomatischen Reaktionen vorgelegen haben mag, wie die Beschwerdegegnerin andeutet (Beschwerdeantwort vom 8. Juli 2013, act. G 6, S. 6). Denn für die Beurteilung der Adäquanzfrage ist auf eine weite Bandbreite der Versicherten abzustellen. Hierzu gehören auch jene Versicherten, die aufgrund ihrer Veranlagung für psychische Störungen anfälliger sind und einen Unfall seelisch weniger gut verkraften als Gesunde (RKUV 1998 Nr. U 297, S. 245 E. 3c).
3.
Nach dem Gesagten steht fest, dass die ursprüngliche Leistungsverfügung vom
4. Dezember 2002 unter dem Aspekt der Adäquanz zu Recht erfolgt ist und damit nicht als zweifellos unrichtig im Sinn von Art. 53 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) gelten kann. Ein wiedererwägungsweises Zurückkommen ist damit unzulässig.
4.
Das Versicherungsgericht ordnete im Urteil vom 5. Dezember 2011 für den Fall der
Bejahung der Adäquanz hinsichtlich des bis zum Erlass der Verfügung vom
4. Dezember 2002 eingetretenen Sachverhalts an, dass die Beschwerdegegnerin die Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002 in einem separaten Revisionsverfahren (Art. 17 ATSG) abzuklären habe (E. 4.5, act. G 1.66). Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang keine weiteren medizinischen Abklärungen getätigt, sondern vielmehr einzig eine Würdigung der bestehenden medizinischen Aktenlage vorgenommen (siehe Verfügung vom 26. September 2012, act. G 1.72, und Einspracheentscheid vom 30. April 2013, act. G 1.64). Diese medizinische Aktenlage wurde vom Versicherungsgericht bereits im Entscheid vom 5. Dezember 2011 beurteilt (E. 2.3 f., act. G 1.66) und als nicht hinreichend aussagekräftig betrachtet (namentlich auch was das ABI-Gutachten anbelangt, worauf die Beschwerdeführerin zutreffend
hinweist; act. G 15, Rz 26), andernfalls hätte das Gericht für den Fall der Bejahung der Adäquanz der Beschwerden aus dem Unfallereignis vom 9. August 1986 keine weiteren Abklärungen angeordnet. Die Sache erweist sich damit hinsichtlich der Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002 und allenfalls der damit einhergehenden Leistungsansprüche als nach wie vor nicht spruchreif. Die Sache ist daher in diesem
Punkt an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie die Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002 nunmehr insbesondere auch medizinisch in einem separaten Revisionsverfahren nach Art. 17 ATSG abkläre und neu verfüge.
5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Einspracheentscheid vom 30. April 2013 aufzuheben. Betreffend die Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002 ist die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen und zu neuer Verfügung im Sinn der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.
Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).
Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende beschwerdeführende Partei Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Die Parteientschädigung wird vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen. In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vor Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b HonO (sGS 963.75) pauschal Fr. 1'000.-bis Fr. 12'000.--. Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren UV 2013/38 im Vergleich zum Verwaltungsverfahren mehrere neue Standpunkte (etwa betreffend prozessuale
Revision und fehlende natürliche Kausalität, act. G 6) vertreten und damit zusätzlichen Aufwand für die Gegenpartei verursacht. Im Verfahren UV 2015/32 ist kein zusätzlicher nennenswerter Aufwand für die Parteivertretung der Beschwerdeführerin entstanden, weshalb eine pauschale Parteientschädigung von Fr. 5'000.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) insgesamt angemessen erscheint.
Entscheid
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP
1.
In Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene Einspracheentscheid vom
30. April 2013 aufgehoben. Betreffend die Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2002
wird die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen und zu neuer Verfügung im Sinn der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 5‘000.-zu entschädigen.
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